KLEINE BONSAIKUNDE
Was ist denn ein Bonsai?
Bonsai ist nicht, wie man meinen möchte, eine spezielle Züchtung gentechnisch veränderter Bäume. Vielmehr kann aus fast jeder verholzenden Pflanze (Rettich und Spargel mal ausgenommen) mit Geduld und Talent ein schöner Bonsai werden! Der Begriff „Bonsai“ bedeutet eigentlich nur „Baum im Topf“ oder „Pflanze in der Schale“. Allerdings ist Bonsai inzwischen zum Synonym geworden für die Methode, Bäume und Sträucher in kleinen Gefäßen zu kultivieren und ihnen durch teils aufwändige Gestaltung das Aussehen uralter Baumveteranen zu verleihen.
Wo kommt Bonsai her?
Erste Darstellungen von Bonsais findet man auf weit über tausend Jahre alten Gemälden aus China. Dort wurde diese Kunst der Baumgestaltung „Penjing“ genannt, was „Landschaft in der Schale“ bedeutet und darauf hinweist, dass der Baum hier den Bestandteil eines Ensembles aus Stein, Kies, Wasser und Pflanze darstellt. Diese Miniaturlandschaften waren an den kaiserlichen Höfen bereits seit der Han-Dynastie (206 – 220 n. Chr.) beliebt und bekannt.
Nach Japan kamen Bonsais erst im 10. oder 11. Jahrhundert. Vermutlich brachten buddhistische Mönche die Bonsaikunst in ihre Heimat, weil bei der Gestaltung innere Ruhe und Ausgeglichenheit gefunden werden kann. Hier wurde dann auch die Technik, Bäume zu kultivieren und zu gestalten, weiterentwickelt und vervollkommnet. Die japanischen Religionen und ihr besonderes Verhältnis zur Natur, als deren Teil der Mensch betrachtet wird, boten dafür beste Voraussetzungen.
Und heute?
In Japan findet man auch heute noch Bäume, welche als wertvoller Familienbesitz von Generation zu Generation weitervererbt werden. Gleichzeitig hat sich aber auch eine Industrie entwickelt, die in riesigen Baumschulen Bonsais für den schnellen Einkauf oder den Export herstellen. Diese Pflanzen finden wir dann in vielen Bonsaizentren, Blumenläden oder gar in Baumärkten. Dabei gibt es in der Qualität gewaltige Unterschiede! Von schön gestalteten, lebensecht aussehenden Miniaturbäumen bis hin zu grotesk verdrehten, wild abgesägten Setzlingen mit eingewachsenen Formhölzern ist alles anzutreffen. Natürlich hat auch jeder die Möglichkeit, sich in seinem Garten oder einer Baumschule nach geeigneten Rohpflanzen umzusehen um aus diesen dann seinen eigenen Bonsai zu gestalten.
Welche Pflanzen eignen sich zum Bonsai?
Das kommt darauf an – wie immer.
Soll der Bonsai ganzjährig im Zimmer stehen (Indoor Bonsai), dann sind unsere heimischen Pflanzenarten ungeeignet, da sie die winterliche Kälteperiode brauchen und ein Überwintern auf dem Fensterbrett über der Heizung nicht lange überleben würden. Dafür nimmt man dann z.B. die Ficus Varianten, Kamelien, Sageretien, Steineiben, Chinesische Ulmen oder andere spezielle „Indoors“. Als Bezug ist hier ein Bonsaizentrum mit fachkundiger Beratung die erste Wahl.
Soll der Bonsai aber im Garten stehen und darf in einem (ungeheizten) Gewächshaus oder an windgeschützter Stelle überwintern (outdoor Bonsai), dann eignen sich fast alle einheimischen Gehölze wie z.B. Fichte, Lärche, Eibe, Wacholder, Buche, Ahorn, Haselnuss oder Apfel. Die ausgewählte Art sollte aber keine allzu großen Blätter haben, da sich ein stimmiges Aussehen dann nur schwer realisieren lässt. Deshalb sind z. B. Kastanie oder Walnuss eher schlecht geeignet.
Stilrichtungen
Braucht es das? Stilrichtungen? Jeder Baum sieht doch anders aus! Genau das ist auch der Grund für die unterschiedlichen Vorgaben: Das individuelle Aussehen eines Bäumchens beeinflusst die Auswahl einer passenden Stilrichtung. Jeder Stil enthält auch seine eigenen Gestaltungsgrundsätze, durch die wiederum der Bonsai im Laufe der Zeit sein natürliches Aussehen erhält. Denn – fast alle Wuchsarten kommen genau so auch in der Natur vor!
Hier mal eine kurze Abhandlung, wahrscheinlich weder vollständig noch für alle Leser zufriedenstellend!
Streng aufrechte Form (Chokkan)
Der Bonsai hat einen absolut geraden, senkrecht stehenden Stamm, dessen Spitze sich genau über der Wurzel befindet. Die Äste wachsen parallel zum Boden und verringern ihre Länge und ihren Abstand zueinander, je näher sie der Krone kommen. In der Natur findet man diese Wuchsform in Fichten-Monokulturen oder bei amerikanischen Sequoia Mammutbäumen.
Frei aufrechte Form (Moyogi)
Das ist wohl die Stilrichtung in der man die meisten Bonsais vorfindet. Sie entspricht der natürlichen Wuchsform fast aller Bäume. Der Stamm windet sich in leichten, schwächer werdenden Biegungen zur Spitze hin, welche sich über dem Wurzelansatz befindet. Die Hauptäste sitzen im besten Fall an der Aussenseite der Biegungen und formen die Silhouette eines unregelmäßigen Dreiecks. Ein so gestalteter Baum wirkt stark und stabil.
Geneigter Stamm (Shakan)
Der Stamm ist schräg geneigt, mit leichter Biegung entgegen der Schräglage zur Spitze hin. Er steht fast am Rand der Schale und überragt diese auf der anderen Seite. Die Äste stehen ungefähr parallel zum Boden und bilden durch ihre Wuchslänge und Anordnung ein Gegengewicht zur Stammneigung. Dieser Stil stellt einen Baum dar, wie man ihn manchmal an Bergkanten oder Flussläufen finden kann wo er den widrigen Umständen erfolgreich trotzt.
Windgepeitschte Form (Fukinagashi)
Sie ähnelt ein wenig dem geneigtem Stamm, entsteht aber in der Natur nicht durch Nachgeben des Bodens sondern durch den stetig und heftig wehenden Wind an Küsten oder Bergrücken, dem der Baum nachgibt. Darum kann hier der Stamm auch erst entgegen der „Windrichtung“ geneigt sein um sich dann kurz darauf in die andere Richtung zu drehen. Die Äste zeigen alle in eine Richtung, nämlich in die durch den „Wind“ vorgegebene. Die windgepeitschte Form ist auch der einzige Bonsaistil bei dem Äste der einen Seite sichtbar am Stamm vorbei auf die andere Seite geführt werden können ohne den Gesamteindruck des Baumes zu zerstören.
Besenform (Hokidachi)
Der Name ist Programm. Aus einem kurzen, geraden Stamm verzweigen sich fast alle Äste in ungefähr gleicher Höhe sternförmig. Sie bilden eine runde oder ungleichmäßig dreieckige Krone, wie sie bei vielen europäischen Laubbäumen anzutreffen ist und grob an einen alten Reisigbesen erinnert.
Literatenform (Bunjingi)
Ein Bunjingi hat immer einen schlanken, stark gewundenen, langen Stamm, der nur von einem kleinen Abschnitt mit Zweigen gekrönt wird. Üblicherweise wird er in einer kleinen, runden Schale eingetopft. Die Gestalt bezieht sich nicht auf ein Vorbild in der Natur, sondern ist eine traditionelle japanische Stilform welche ihre Entstehung angeblich der fernöstlichen Poesie verdankt. Die Literatenform lässt dem Gestalter alle Freiheiten, zeigt aber gleichzeitig jeden Fehler schonungslos auf. Wie ein gutes Gedicht eben. Das stellt hohe Anforderungen an den Gestalter und den Baumrohling.
Halbkaskade (Han-Kengai)
Hier neigt sich der Stamm über den Schalenrand nach unten, erreicht jedoch nicht den Boden der etwas höheren Schale. Der erste Ast bildet eine Krone, der Stamm verläuft in sanften Biegungen. In der Natur findet man solche Bäume meist unter überhängendem Gelände im Gebirge, wo sie die Wuchsrichtung zur Seite verlagern müssen um genügend Licht zu bekommen.
Kaskade (Kengai)
Wie bei der Halbkaskade wächst der Stamm über den Schalenrand nach unten. Jedoch verwendet man bei der Kaskade einen sehr hohen, meist noch auf einem Podest platzierten Topf, damit sich der Stamm bis weit unterhalb des Schalenbodens ausbreiten kann. Auch bei der Kaskade sitzt der erste Ast noch über der Schale und bildet eine kleine Krone, die anderen Äste erstrecken sich über dem Stamm nach unten und wirken in der direkten Ansicht fast wie eine auf den Kopf gestellte frei aufrechte Form. Im Hochgebirge an steilen Hängen findet man die von Wind und Schneelast gezeichneten Vorbilder für die Kaskade.
Doppelstamm (Sokan)
Zwei Stämme wachsen aus einer gemeinsamen Wurzel oder trennen sich kurz oberhalb. Man achtet darauf dass beide Stämme unterschiedlich lang und dick sind, gestaltet den Baum aber optisch wie einen einzigen, weshalb besonderer Wert auf die Anordnung der Äste gelegt werden muss. Dabei sind alle Stilrichtungen erlaubt, am häufigsten sieht man wohl die frei aufrechte Form. Vorbilder finden sich in jedem Wald, egal ob Laub- oder Nadelbaum.
Mehrfachstamm (Kabudachi)
Nicht gerade häufig als Bonsai zu sehen entspringen mehrere Bäume einer gemeinsamen Wurzel. Verpönt ist eine gerade Anzahl von Stämmen, weil dann die Gefahr einer ungewollten Symmetrie besteht! Die Stämme sind alle unterschiedlich hoch und dick, stehen seitlich und in der Tiefe gestaffelt und bilden eine gemeinsame Krone. Auf keinen Fall darf der stärkste Stamm deshalb außen stehen, direkt hintereinander stehende oder sich kreuzende Stämme werden ebenfalls vermieden. Auch hier bietet sich wieder die frei aufrechte Form an, wie Baumgruppen in Wald und Flur sie uns vorgeben.
Floßform (Ikada)
In der Natur entsteht eine Floßform wenn der Sturm einen Baum entwurzelt, dieser dann flach auf dem Boden aufliegt aber noch genug gesunde Restwurzeln hat um den Baum ein wenig zu versorgen. Mit der Zeit bilden sich dann an den Stellen, an denen der Stamm den Boden berührt, neue Wurzeln aus und die nach oben zeigenden Äste werden neue Stämme. Genau so gestaltet man auch den Bonsai. Aus dem liegenden, halb bis ganz mit Erde bedecktem Stamm ragen eine ungerade Anzahl an Ästen nach oben, die unterschiedlich dick und hoch jeweils einzeln zu einem Bäumchen gestaltet werden. Der stärkste Baum sitzt ungefähr auf einem Drittel der Floßlänge, alle Bäume sollten im gleichen Stil gestaltet werden.
Waldform (Yose-ue)
Meist besteht der Wald aus recht jungen Bäumchen der gleichen Art in einer flachen, großen Schale oder auf einer Steinplatte. Damit lässt sich der Eindruck eines sehr viel älteren, reifen Ensembles erzielen. Alle Bäume werden in der gleichen Stilform gestaltet und bilden ein gemeinsames Blätterdach. Der größte und dickste, also der Hauptbaum, befindet sich nicht in der Mitte der Schale, sondern vom Rand aus im ersten Drittel. Die anderen Bäume werden unregelmäßig verteilt um Einblicke und Durchsichten zu ermöglichen, wobei die kleinsten Bäume den Rand bilden. Der Boden soll uneben und mit Moos bewachsen sein um den Wald dadurch noch natürlicher wirken zu lassen.
Felsenpflanzung (Sekijoju)
Es gibt zwei Arten um einen Bonsai mit einem Felsen zu vereinen:
Die erste, der Sekijoju, stellt einen Baum dar, welcher auf einem felsigen Untergrund gewachsen ist und bei dem der Regen dann die Erde ausgewaschen hat. Der Stamm sitzt auf dem Stein, die Wurzeln umklammern den Fels und wachsen nach unten bis wieder Mutterboden erreicht ist. Originale sieht man oft in der fränkischen Schweiz oder im Gebirge.
Felsenpflanzung (Ishizuke)
Die zweite Art, Ishizuke, lässt einen oder mehrere Bäume auf einem Felsen wachsen. Die Wurzeln finden Halt in Felsspalten, in denen sich Erde angesammelt hat. Die besten Vorbilder findet man im Weltgeopark Zhangjiajie, am Berg Tianzishan, China. Einfach mal bei Google Bilder eingeben!
Ausgebreitete Wurzeln (Nebari)
Eigentlich versteht man unter Nebari den Wurzelansatz eines jeden Bonsai. Bei dieser Sonderform wird der Wurzelansatz aber bewusst extrem groß ausgearbeitet. Der Stamm bleibt kurz, als Stile bieten sich niedrige, geduckte Formen an. Vorbilder sind hier Mangroven und alte Baumriesen, denen der Regen die Erde zwischen den Wurzeln weggewaschen hat, oder die auf inzwischen vermodertem Totholz gewachsen sind.